Das Technorama treibt das Spiel mit unserer Wahrnehmung aktuell auf die Spitze – und verführt sogar zum Blick in die eigene Seele. Text Chantal Herger Fotos Annick Ramp
Wie eine verzerrte Kugel wirken die unzähligen, sich überlagernden Farbflächen, die auf der Leinwand leuchten und sich langsam, aber stetig verändern. Sie fesseln den Blick, sobald man den abgedunkelten Raum betritt. Untermalt von sphärischer Musik, soll man hier tief in die eigene Seele blicken. Was nach Wahrsagerei klingt, ist jedoch ein neues Ausstellungsstück im Technorama in Winterthur ZH.
Der «Seelenspiegel» ist eine Lichtinstallation, die Kunst und Wissenschaft verbindet. Ein weisser Lichtstrahl trifft nacheinander auf drei Glasobjekte, zwei Zylinder und eine rotierende Kugel, und erzeugt so die plastisch wirkende Projektion. Diese Konstruktion nennt der Künstler Alex Silich (45) «Visual Perception Instrument», auf Deutsch «visuelle Wahrnehmungsmaschine». Über 15 Jahre lang hat er an den Glasobjekten gearbeitet, sie so geschnitten und geschliffen, dass keine Stelle der anderen gleicht. «So gibt es keine Wiederholung auf der Leinwand», erklärt Silich sichtlich stolz.

Und was siehst du?
Ist da gerade ein Flamingo aufgetaucht, war es ein Tiger oder doch eher ein Fuchs? «Es geht beim Exponat um Mustererkennung», führt der Zürcher Künstler aus. In zufälligen Flächen und Mustern versucht der Mensch, vertraute Gegenstände, zum Beispiel ein Gesicht oder ein Tier, wiederzuerkennen. Dieses psychologische Phänomen nennt sich Pareidolie.
Nun aber raus aus dem schwarzen Raum, rein in die Welt der Experimente. Was man im «Seelenspiegel» sehend wahrgenommen hat, kann man nämlich auch mit den eigenen Händen ausprobieren – bei der «Lichtinsel»: In der Mitte eines runden Tischs steht ein Zylinder, aus dem mehrere weisse Lichtstrahlen über den Tisch leuchten. Dazwischen sind kleine Spiegel, verschiedene Farbfilter und Linsen verteilt.
Auf den Kopf gestellt
Mit geübten Handgriffen platziert der langjährige Technorama-Mitarbeiter und Entwickler Jörg Moor (63) die Objekte auf dem Tisch und demonstriert, wie Farben gemischt werden und Licht reflektiert sowie gebrochen wird. Fasziniert von den Tausenden von Möglichkeiten, die man durchspielen kann, beginnt man selbst zu experimentieren – und könnte dies stundenlang tun, wenn man nicht wüsste, dass noch mehr auf einen wartet.
Zum Beispiel der «Schiefe Raum», ein Zimmer mit Fenstern, in dem sich ein Stuhl, ein Tisch und eine Dusche befinden. Dort wird nicht nur die visuelle Wahrnehmung, sondern auch der Gleichgewichtssinn auf die Probe gestellt – wortwörtlich voll schräg. Die Vorhänge hängen quer in der Luft, der Wasserstrahl des Duschkopfs macht einen leichten Bogen und, wie Jörg Moor gleich selbst demonstriert, steht man geneigt im Raum. Im «Drehtunnel» wird dann gleich die ganze Welt auf den Kopf gestellt. Während man über eine stabile Brücke geht, dreht sich der schwarze, mit Lichtern versehene Tunnel um die eigene Achse. Und plötzlich wird das Geradeauslaufen zur Herausforderung. «Was man über den Sehsinn wahrnimmt, stimmt nicht immer mit der Realität überein», erklärt Jörg Moor.
Zurück im «Seelenspiegel» fragt man sich beim Betrachten der sich ständig verformenden Farbflächen: «Was sehe ICH da eigentlich?» Das lässt sich gar nicht so einfach beantworten. Zwar betrachtet man dieselbe farbige Lichtinstallation, doch welche Figuren oder Gestalten man darin entdeckt, ist einzigartig und basiert auf den individuellen Erfahrungen, die sich darin widerspiegeln. Selbst der Schöpfer des Kunstwerks beantwortet die Frage mit einem Achselzucken: «Ich sehe nur Fehler», so Alex Silich. Der Blick in die Seele bleibt vorerst ein Geheimnis. ■
Bei der «Lichtinsel» kann man die Lichtbrechung spielerisch ausprobieren. Im schiefen Raum wirkt Jörg Moor «voll schräg».
Anmerkung: VPI seit 2009 in Entwicklung. Seit 2023 VPI Glaswerkstatt im Aufbau.
Quelle: Coopzeitung